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WAGENLENKER - Eine großartige Bronzestatue

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2018-12-29 2022-02-21 29.12.2018
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Wagenlenker von Delphi (638 Wörter), Wagenlenker von Delphi (3.037 Wörter)

Zu den bedeutenden statuarischen Werken des Archäologischen Museums in Delphi ¹ muss die Bronzestatue des Wagenlenkers gezählt werden, die bei den Grabungen 1896 in der Nähe des Apollontempels zutage gefördert und im Jahr darauf von dem Grabungsleiter Théophile Homolle ² publiziert wurde. Wie schon der Altmeister der Münsteraner Archäologie Professor Max Wegner bemerkte, nimmt „unter den Frühwerken der strengen Klassik (…) der delphische Wagenlenker einen hervorragenden Platz ein“ ³, weil „Polyzalos, der Herr von Gela, (…) ihn zwischen 478 und 474 als Weihgeschenk in das Heiligtum von Delphi“ gestiftet hatte, wobei „in dem säulenhaft aufrechtstehenden, schlicht gewandeten Wagenlenker (…) nur ein Teil einer großen plastischen Gruppe vor uns (steht)“. Zu dieser Gruppe muss einst ein Rennwagen mit Viergespann gehört haben, „womit der gefeierte Sieg in der Kampfbahn errungen wurde“, wie Wegner formuliert, davon allerdings nur geringe Fragmente wie „Wagenteile mit Deichsel und Joch, Hinterhandfragmente und Schweif von Pferden, der Arm einer etwas kleineren Begleitfigur sowie ein Basisblock mit Inschrift“ gefunden wurden. Deswegen ist es wichtig zu betonen, dass der Wagenlenker selbst die Reste der Zügel in seiner rechten Hand hält  - ein Beweis dafür, dass er einst Teil eines siegreichen Gespanns gewesen sein muss. 

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Wagenlenker von Delphi (638 Wörter), Wagenlenker von Delphi (3.037 Wörter)

Aufgrund der in Teilen erhaltenen Weihinschrift ⁴ ist gesichert, dass Polyzalos dieses Denkmal nach seinem Sieg im Wagenrennen bei den Pythischen Spielen ins Apollonheiligtum von Delphi geweiht hat. Somit ist ein wichtiger „terminus ante quem“ (= „Zeitpunkt vor dem“) gegeben, denn Polyzalos aus der Familie der Deinomeniden „nannte sich (…) nur zwischen 478 und 467 v. Chr.“  "Herr von Gela". Da sein Bruder Hieron nachweislich im Jahr 470 v. Chr. Sieger im Pferderennen war, kann Polyzalos folgerichtig diesen Sieg nur 478 oder 474 v. Chr. errungen haben, da auch die Pythischen Spiele lediglich alle vier Jahre stattfanden. Daher ist das Bronzewerk in Delphi zu den wenigen festdatierten Skulpturen der griechischen Antike zu rechnen und allein deswegen ein bedeutendes Werk des Strengen Stils. Darüberhinaus ergaben die Forschungen, dass „bei der Korrektur (…) die Angabe ’Herrscher’ unterdrückt“  und „durch eine politisch neutrale Erwähnung ersetzt (wurde)“, dennoch außen genügend Platz ließ für eine Begleitfigur „neben dem rechten Leinenpferd des Gespanns“, wie der Archäologe Michael Maass anmerkt.

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Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, sich zunächst mit der erhaltenen Bronzefigur des Wagenlenkers zu beschäftigen, die immerhin eine stattliche Höhe von 1,80 m erreicht und allein durch ihren konzeptionellen Aufbau und ihren Erhaltungszustand jeden Betrachter beeindruckt. Die Figur war „aus mindestens sieben einzelnen Teilen kunstvoll zusammengelötet worden“, wie die Forschung erkannte und zugleich überzeugend darlegte, dass „die Wandstärke der Bronze (…) so groß (ist), dass ein Wachsausschmelzverfahren zur Gewinnung der Gussform unwahrscheinlich erscheint“ ⁵. Damit ist klar, dass der Künstler dieses Werkes ein wahrer Meister seines Faches mit hohem technischem Sachverstand war und mit den Worten des Freiburger Archäologen Professor Walter-Herwig Schuchhardt „vorzüglich die hochentwickelte Technik der Bronzebearbeitung“ ⁶ in der „Zeit des frühklassischen Strengen Stils“ beherrschte. Die Figur des Wagenlenkers steht aufrecht und ist mit einem langen, faltenreichen und „in Magenhöhe“ gegürteten Chiton bekleidet, dabei die Arme und Hände frei bleiben und obendrein auch der Hals sichtbar ist. Der Chiton ist übrigens „seit homerischer Zeit“ die obligate Tracht der Wagenlenker, während die Binde im Haar, die hier „Vertiefungen für den mit Silber eingelegten Mäander ⁷ aufweist,  nicht von vornherein als Zeichen des Wagenlenkers, wohl aber als Symbol des Siegers  betrachtet werden darf. Wie W. Hautumm richtig bemerkt, fallen „die Falten (…) unterhalb der  Gürtung wie Säulenkanneluren senkrecht am Körper herab, ohne dass sich dieser in irgendeiner Form unter dem Stoff abzeichnet“. Eine zusätzliche Sicherung erfuhr der Chiton „durch Schulterkreuzbänder (…), damit der Fahrtwind sich nicht im Gewand verfängt“. Im Gegensatz zum Unterkörper sind die Falten „am Oberkörper (…) über den Armen und der Brust sehr unterschiedlich ausgestaltet“, was ebenfalls für das Können und die Meisterschaft des Künstlers spricht. Aus diesem faltenreichen Chiton blickt als krönender Abschluss ein Kopf mit einer lockigen Kurzhaarfrisur, „die mit einer am Hinterkopf verknoteten Binde zusätzlich geschmückt war“ (W. Hautumm). Die Haare sind zusätzlich in Löckchen unterteilt, klein und flach anliegend, „an den Schläfen und um die Ohren“ allerdings gekräuselt wiedergegeben. Im Gegensatz dazu ist „das Gesicht mit schwerem Kinn, wulstigen Lippen und gerader Nase“ gestaltet und „besitzt klare, glatte Formen“.

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Besonders hervorzuheben sind die Augen, die „aus weißen Kieselsteinen (bestehen), in die die Pupillen eingesetzt wurden“. Auffallend ist des Weiteren die leichte Drehung des Gesichtes zu seiner Rechten, was für den Archäologen Professor Werner Fuchs ⁸ ein Hinweis darauf ist, dass „die Hauptansicht in der Dreiviertelansicht von seiner rechten Seite“ zu sehen ist. Dieser zunächst einleuchtende Vorschlag hat sich letztendlich in der Forschung nicht durchsetzen können, da im Laufe der Jahrzehnte immer mehr die Asymmetrien im Körperaufbau auffielen - z. B. die Tatsache, dass „die rechte Hälfte der Oberlippe (…) schmaler (ist), die linke Braue gerader, das rechte Auge (…) schräger (steht), der linke Mundwinkel (…) herab(hängt)“. Diese Asymmetrien stellt Wolfgang Hautumm in den Vordergrund seiner Analyse des Wagenlenkers und betont, dass diese Unstimmigkeiten sich auch „bei einer schrägen Betrachtung“ keineswegs aufheben, sondern im Gegenteil bei anderen Statuen, besonders jedoch „bei Statuetten und Kleinbronzen zu beobachten sind“. Eine Ansichtsseite gibt jedoch gerade bei Kleinbronzen und anderen Statuetten keinen Sinn, weswegen der Grund für derartige Asymmetrien woanders liegen  muss und nach Meinung von W. Hautumm und anderer Forscher „wahrscheinlich in dem Bedürfnis“ liegen könnte, „einem Gesicht oder einem Körper Abwechslung und Lebendigkeit zu verleihen“. Trotzdem ist gerade der Kopf des Wagenlenkers sehr ausdrucksstark, in der Wiedergabe seines Haares genauso wie der Angabe von Ohren, Augen, Nase und Mund, der nicht mehr das sog. Archaische Lächeln zeigt, stattdessen eine Lippenbildung präsentiert, die der Zeit des Strengen Stils zu Beginn des 5. Jhs. v. Chr. voll und ganz entspricht, sodass der Archäologe Werner Fuchs hier zu der Überzeugung gelangte, den Kopf des Wagenlenkers im Vergleich mit anderen Köpfen vielleicht  dem Bildhauer des Strengen Stils, Pythagoras von Rhegion (1. H. 5. Jh. v. Chr.), zuweisen zu können, der nachweislich eine ganze Reihe von Siegerstatuen beispielsweise für das Zeusheiligtum in Olympia geschaffen, darüber hinaus „im Wettstreit mit Myron die Statue eines Pankratiasten“ ⁹ gearbeitet hatte. Diese Vermutung liegt zunächst auf der Hand, da der Bildhauer aus Rhegion, dem heutigen Reggio di Calabria, einer Stadt an der Südspitze der italienischen Halbinsel, stammte und damals als Bildhauer nicht nur in Großgriechenland einen besonderen Ruf genoss, wie zahlreiche literarische Überlieferungen bezeugen, sondern auch im griechischen Mutterland, wie zahlreiche Weihungen nach Olympia, Delphi und in andere Orte in Griechenland belegen. Das Problem liegt allerdings in der zeitlichen Einordnung dieses Bildhauers, von dem wir aufgrund der Erwähnung bei Pausanias ¹⁰ wissen, dass er seine Ausbildung bei dem archaischen Bildhauer Klearchos erhalten, also entsprechend früh zu datieren sei, wohingegen Plinius (Naturalis historia 34, 49) ihn als Zeitgenossen des Bronzegießers Myron beschreibt, der gemeinhin um die Mitte des 5. Jhs. v. Chr. zeitlich eingeordnet wird. Also bleibt eine gewisse Zeitdiskrepanz, die erklärt werden muss, überdies das Phänomen, dass diesem Bildhauer zwar viele Werke in der Überlieferung zugeschrieben werden, keines davon im Original oder in Kopie erhalten ist. Interessant ist dagegen die Überlieferung, dass nach der Überlieferung des Diogenes Laertios (8, 47) „Pythagoras der erste (war), der sich in seinem Werk den Problemen der Symmetria und des Rhythmos widmete“ ¹¹. Wichtig ist in diesem Zusammenhang dabei der Begriff "Symmetria", der vor dem 5. Jh. v. Chr. nicht belegt ist und „im antiken Wortverständnis das Maßverhältnis (meint), in dem verschiedene Aspekte ein und derselben Sache zueinander stehen, und kann auf ’feucht’ – ’trocken’, ’warm’- ’kalt’, auf Gebäudeteile und Bauglieder, aber auch auf die Gliedmaßen des Körpers bezogen werden. Symmetria ist im Gegensatz zu Asymmetria immer ’das gute und richtige’ Maßverhältnis und führt beim menschlichen Körper z. B. zu Schönheit.“ ¹²

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Rhythmos dagegen ist ein Begriff, der „in seiner Grundbedeutung die geregelte Bewegung (meint), nicht aber im Sinne eines sich Fortbewegens gemeint, sondern als eine innerhalb einer Ordnung sich fortpflanzende Fügung aller Teile, eine sich im Ganzen fortbewegende Beziehung der Teile zueinander, die sowohl die Darstellung des menschlichen Körpers als auch beispielsweise die Beziehung der Bauglieder in der Architektur betrifft.“ Angesichts dieser Begriffe wird die Figur des Bildhauers Pythagoras von Rhegion in bezug auf den Wagenlenker im Museum von Delphi wieder interessant, wobei wir diese Spur nicht weiter verfolgen können, stattdessen dieser Ansatz als Hypothese im Raum stehen bleiben soll. Des Weiteren können wir Michael Maass ¹³ zustimmen, wenn er schreibt: „Die Statue ist eines der Musterbeispiele des strengen Stils, der alle Zierlichkeit und Gefälligkeit der spätarchaischen Formen abgelegt hat. Charakteristisch sind genau beobachtete, oft harte Realismen der Details, knappe, feste Rundungen, Beschränkung und Konsequenz in der Anlage der Motive. Die Bestimmtheit hat etwas faszinierend Abweisendes, ist Ausdruck eines hochgestimmten Selbstbewusstseins.“ Diese Beobachtung und Zuordnung von Michael Maass passt durchaus zur Tatsache, dass „die sizilischen Tyrannen (…) die Weihgeschenke der Westgriechen (dominierten)“, wie wir den Überlieferungen, etwa bei Pausanias im 2. Jh. n. Chr., entnehmen können, obwohl auch unteritalische und sizilische Städte wie beispielsweise Tarent in diesem Punkt sehr aktiv waren und selbst die Etrusker „stattliche Weihungen nach Delphi“ stifteten.

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Damit sind wir bei der entscheidenden Frage angekommen, wen eigentlich der Wagenlenker von Delphi darstellt. Bereits der Münchner Archäologe Ernst Buschor schlug vor, Polyzalos von Gela selbst in dieser Figur zu sehen, ein Vorschlag, der nicht von allen Wissenschaftlern akzeptiert wurde und deswegen die Diskussion, wer denn in dieser Figur zu vermuten sei, weiterhin in der Archäologie beflügelte. So entstanden im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Thesen, die wir hier nicht alle benennen können und wollen, die allerdings zeigen, dass Manches im Spekulativen beheimatet bleiben wird. Schließlich kann weder mit Bestimmtheit gesagt werden, dass in dem Wagenlenker lediglich ein Mann dargestellt ist, der in Diensten des Polyzalos stand, noch mit allerletzter Sicherheit von Polyzalos als dem in dem Wagenlenker Präsentierten ausgegangen werden. Dazu fehlen letztendlich Inschriften oder zuverlässige Quellen, darin das hervorragende Werk des Wagenlenkers genannt und zugewiesen wird. So wird es auch in Zukunft wohl noch manche Thesen in der Archäologie zu diesem Thema geben!

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Wagenlenker von Delphi (638 Wörter), Wagenlenker von Delphi (3.037 Wörter)

Ebenso schwierig gestaltet sich die Diskussion um die Frage des Künstlers dieser Weihung, also welcher Kunstlandschaft und gar welchem Meister wir diese Bronze zuschreiben dürfen. Der noch im Handbuch von Georg Lippold ¹⁴ genannte Basisblock, dessen Inschrift "Sotadas aus Thespiai hat es gemacht" lautet, konnte nicht mit dem Wagenlenker in Verbindung gebracht werden und musste deshalb ausscheiden. Im Laufe der Zeit gab es in der Archäologie eine ganze Reihe unterschiedlicher Meisterzuweisungen, zu denen auch die schon erwähnte Zuschreibung an Pythagoras von Rhegion von Werner Fuchs gehört. Andere Archäologen schlugen andere Meisterzuweisungen vor. So meinte der Basler Archäologe Karl Schefold ¹⁵ den Wagenlenker dem aiginetischen Bronzeplastiker Onatas zuweisen zu müssen, der ein wichtiger Vertreter des Strengen Stils war und dessen Werke teils in Kopien, teils durch schriftliche und literarische Zeugnisse überliefert sind ¹⁶. Deswegen ist bekannt, dass dieser Onatas auch Werke für Delphi, Olympia, die Insel Aigina und die Polis Athen gearbeitet hat. Diese verschiedenen Zuweisungen zeigen ganz deutlich, wie schwierig es ist trotz des guten Erhaltungszustands der Bronzefigur eine einheitliche Zuweisung an eine Werkstatt zu erhalten, da die Auffassungen zu den einzelnen Kunstlandschaften in der Archäologie immer noch weit auseinanderliegen. Ich persönlich plädiere dafür, die von Werner Fuchs vorgeschlagene Zuweisung an Pythagoras von Rhegion durchaus ernst zu nehmen, da dieser  Bildhauer aus Großgriechenland stammt, dort bereits einen großen Namen besaß und somit durchaus als von Polyzalos beauftragter Bronzekünstler in Frage kommen kann.

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Gleichermaßen schwierig gestaltet sich die Rekonstruktion der Bronzegruppe, davon unser Wagenlenker offensichtlich ein wichtiger Teil ist. Ohne bis ins letzte Detail diese Frage diskutieren zu wollen, kann zunächst festgestellt werden, dass die Bronzestatue zweifelsfrei als Wagenlenker und damit als Pferdeführer in einem Wagenkorb gestanden hat. Allein die Zügelreste in seiner rechten Hand belegen dies, darüberhinaus auch die eingangs genannten Fragmente. Dabei gehen wir von einem Pferdegespann aus, wobei keineswegs gesichert ist, ob ein oder zwei Beipferde angenommen werden dürfen oder, wie einige Forscher gar vermuten, sogar ein Viergespann – schließlich sind nur drei Pferdehufe und ein Pferdeschweif gesichert. Des Weiteren ist mindestens ein pferdeführender Knabe als weiteres Glied dieser Bronzegruppe anzunehmen, wie das Fragment eines linken Armes eines Epheben nahelegt. Ob jedoch neben dem erhaltenen Wagenlenker außerdem ein weiterer Wagenlenker zu vermuten ist, muss offenbleiben  -  diese Fragen können nur unter Berücksichtigung des Platzangebots auf der Basis einigermaßen stimmig beantwortet werden und rufen infolgedessen unterschiedliche Rekonstruktionsvorschläge hervor. Die Rekonstruktion, die der Archäologe Roland Hampe ¹⁷ vorgelegt hat, ist umstritten und kann mittlerweile als überholt angesehen werden, obwohl W. Hautumm sie noch in seinem genannten Buch abgebildet hat. Hampe wurde übrigens 1939 in Würzburg mit seiner Arbeit über den Wagenlenker von Delphi habilitiert und hat seinen Rekonstruktionsvorschlag bereits 2 Jahre später publiziert. Dies sind nur wenige Gedanken, die sich auf einen möglichen Rekonstruktionsversuch beziehen und sollen als Anregung genügen.

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Wagenlenker von Delphi (638 Wörter), Wagenlenker von Delphi (3.037 Wörter)

Zum  Abschluss unserer Überlegungen zum Wagenlenker in Delphi soll noch ein Aspekt zur Sprache kommen, mit dem sich der Archäologe und Journalist Michael Siebler ¹⁸ befasste und ausführte: „Heute sind es beispielsweise Ascot oder Aachen, Orte, an denen sich vor allem die Reichen, Schönen und Mächtigen treffen, um die besten und schnellsten Pferde der Welt zu bewundern. Wer in der griechischen Antike etwas gelten wollte im Pferdesport, der kam nach Olympia zu den berühmten Spielen; aber auch in Delphi und anderswo gab es Wettrennen. Und damals galt wie heute:  Nur wer genügend finanzielle Mittel besaß und damit entsprechend in Pferde und deren Training investieren konnte, durfte auf einen Sieg bei dem Rennen hoffen. Die Königsdisziplin, gleichsam die Formel 1 der Antike, war das Rennen mit dem Viergespann. Eine Ahnung von der Härte und Gefährlichkeit dieser Disziplin mag in der berühmten Wagenrennen-Sequenz des Filmes ’Ben Hur’ noch anklingen. Die Krönung im Leben eines Gespannbesitzers war ohne Zweifel der Sieg im Hippodrom von Olympia. Wer dort den Olivenzweig errang, wurde in die Siegerlisten eingetragen und war damit gleichsam unsterblich. Außerdem durfte er auf eigene Kosten ein Denkmal für seinen Sieg stiften. Und als Sieger konnte man sich auch ein Preislied bei einem der großen Dichter bestellen, der dann wie Pindar (etwa 522-446 v. Chr.) eine Ode verfasste, in der er den Sieg seines Auftraggebers in den höchsten Tönen lobte. Dabei brauchte der Glückliche - streng genommen - überhaupt keine Ahnung davon zu haben, wie man ein Viergespann durch die Rennbahn lenkte. Denn nicht der Wagenlenker des Siegergespanns erhielt den Sieg zugesprochen, sondern der Besitzer. Das mutet heute genauso fremdartig an wie die Tatsache, dass es in allen griechischen Sportdisziplinen nur einen Sieger gab, aber keinen zweiten oder dritten Platz. 

Deshalb werden wir auch nie mehr den Namen jenes Wagenlenkers erfahren, dessen Bildnisstatue 1896 in Delphi gefunden wurde. Der Ruhm des Unbekannten ist verständlich, gab es doch zum Zeitpunkt der Entdeckung keine einzige weitere lebensgroße, original griechische Bronzestatue. Wie so oft, war auch der Wagenlenker nur Teil eines größeren Ensembles, das in jenes Heiligtum gestiftet worden war, wo alle Welt aus den doppeldeutigen Orakelsprüchen der Pythia die Zukunft erfahren wollte.“  

 

Anmerkungen

  1. Delphi, Archäologisches Museum Inv. 3484, 3520 und 3540. Bronzeguss aus mehreren Teilen. Guter Erhaltungszustand.  H.: 1,80 m.  Von dem dazugehörigen Wagen und der Quadriga sind jedoch nur wenige Fragmente zutage gekommen. Deswegen sind alle Rekonstruktionsvorschläge mit Vorsicht zu begutachten. Http://viamus.uni-goettingen.de/fr/sammlung/ab_rundgang/q/03/04, Https://de.wikipedia.org/wiki/Wangenlenker_von_Delphi.
  2. Th. Homolle, BCH 21, 1897, 579. Th. Homolle, L’aurige de Delphes, MonPiot 4, 1897, 169-208. H. Pomtow, Zum delphischen Wagenlenker, SbMünchen 1907, 241-329.  F. Chamoux, L’aurige de Delphes. FdD IV 5, 1955. Guide de Delphes, Le musée, 180 ff. Nr. 51 Fig. E Abb. 51a-f.
  3. M. Wegner, Meisterwerke der Griechen, Stuttgart 1960, 34 ff. Abb. 28 f.
  4. Weihinschrift an der Basis:  Die Inschrift ist einerseits nicht vollständig erhalten und wurde andererseits zumindest in der ersten Zeile korrigiert. O. Washburn, BphW 25, 1905, 1358 ff. und AJA 10, 1906, 151 ff. F. Chamoux, a. O., 1955, 26 ff. J. Pouilloux/G. Roux, Énigmes à Delphes, 1963, 10:  Die Forschung geht nach den Ausführungen von M. Maass davon aus, dass dieses Weihedenkmal „einem Bergsturz zum Opfer (fiel), der ca. 373 v. Chr. auch den archaischen Apollontempel zerstört hat“  - M. Maass, a. O., 193 Anm. 33. Also hatte das Denkmal rund 100 Jahre Bestand, wodurch gleichzeitig die festzustellenden Korrekturen in der Basisinschrift ausreichend begründet sind. Allerdings muss auch gesagt werden, dass einige Forscher „die Zusammengehörigkeit der miteinander gefundenen Teile“ teilweise angezweifelt haben, z. B. F. Schober, RE Suppl. V, 1931, Sp. 61-152 s. v. Delphoi, was allerdings zumindest teilweise unbegründet scheint. Einzig „ein früher als Radspeiche erklärtes Fragment“ konnte vielmehr als Dreifussbein identifiziert werden: Cl. Rolley, En regardant l’Aurige, BCH 114, 1990, 285-297.
  5. W. Hautumm, Die griechische Skulptur, Köln 1987, 127 ff. Abb. 63 f.
  6. W.-H. Schuchhardt, Griechische Kunst, Stuttgart 1968, 98 Abb. 66 f.
  7. R. Wünsche, Zur Farbigkeit des Münchner Bronzekopfes mit der Siegerbinde, in: V. Brinkmann/R.Wünsche (Hrsg.), Bunte Götter. Die Farbigkeit antiker Skulptur. Eine Ausstellung der Staatlichen Antiken-sammlungen und Glyptothek München in Zusammenarbeit mit der Ny Carlsberg Glyptothek Kopenhagen und den Vatikanischen Museen, Rom, Katalog München 2004², 136 Abb. 222.
  8. W. Fuchs, Die Skulptur der Griechen, München 1969, 343 f. Abb. 380 und 554 Abb. 660.
  9. A. Rumpf, in: RE XXIV, Stuttgart 1963, Sp. 305-307 s. v. Pythagoras.  W. H. Gross, in:  Der Kleine Pauly Bd. 4, Stuttgart 1972 Sp. 1270 s. v. Pythagoras.  U. Steininger, Die archaische und frühklassische Großplastik Unteritaliens und ihr Verhältnis zum Mutterland, Münster 1996, 32-35.
  10. Pausanias VI, 4, 4:  „Die Statue machte Pythagoras aus Rhegion, der ein guter Bildhauer war wie nur irgendeiner. Er soll bei Klearchos gelernt haben, der ebenfalls Rheginer und Schüler des Eucheiros war; Eucheiros sei Korinthier und habe die Spartaner Syagros und Chartas besucht.“ 
  11. https://de.wikipedia.org/wiki/Pythagoras_(Bildhauer_aus_Rhegion). 
  12. H. Hommel, Symmetrie im Spiegelbild der Antike. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 5. Bericht, 1986, 21 f. Anm. 32.
  13. M. Maass, a. O., 195.
  14. G. Lippold, Die griechische Plastik. Handbuch der Archäologie III 1, 1950, 113.  L. Alscher, Griechische Plastik II, 1, 193 f.  
  15. K. Schefold, Klassisches Griechenland.  W. Hautumm, a. O., 131 Anm. 122.
  16. J. Dörig, Onatas of Aegina, Leiden 1977 (= Monumenta Graeca et Romana 1).  E. Walter-Karydi, Onatas, in:  R. Vollkommer (Hrsg.), Künstlerlexikon der Antike Bd. 1, München/Leipzig 2001, Sp. 591-595 s. v. Onatas. R. Neudecker, Onatas, in:  Der Neue Pauly Bd. 8, Stuttgart 2000, Sp. 1203 f.  
  17. R. Hampe, Der Wagenlenker von Delphi, in:  Brunn-Bruckmann, Denkmäler griechischer und römischer Skulptur, 1888-1947, Taf. 786-790, S. 1-43 (1941). Gute Abb.:  W. Hautumm, a. O., 127 Abb. 63.
  18. M. Siebler, Griechische Kunst, Köln 2007, 58.